Struktur endlicher abelscher Gruppen

Ein Porträt von Camille Jordan.

Camille Jordan (1838-1922) war ein französischer Mathematiker. Er hat fundamentale Beiträge zur Analysis, Gruppentheorie und Topologie geleistet. Sein Lehrbuch Traité des substitutions et des équations algébriques (1870) war das erste Buch über Gruppentheorie.

Florent Schaffhauser, Algebra 1, Wintersemester 2025/26, Uni-Heidelberg (© 2025, CC BY-SA 4.0).

p-Gruppen

Definition. Für eine Primzahl ist eine -Gruppe eine nicht-triviale Gruppe in der die Ordnung jedes Elements eine Potenz von ist: .

  • Eine p-Gruppe ist nicht unbedingt endlich. Sie ist auch nicht unbedingt abelsch.

  • Eine nicht-triviale endliche Gruppe ist genau dann eine -Gruppe wenn ihre Ordnung eine Potenz von ist. Das heißt, wenn .

    • “ Sei eine Primzahl, die ein Teiler von ist. Nach dem Satz von Cauchy (den wir derzeit nur im abelschen Fall bewiesen haben), gibt es mit . Dann muss und für einziges .
    • “ Nehmen wir an, dass . Nach dem Satz von Lagrange, muss für jedes ein Teiler von sein. Da eine Primzahl ist, muss gelten.
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Beispiele für p-Gruppen

  • Eine zyklische Gruppe der Gestalt ist eine (endliche abelsche) -Gruppe. Eine zyklische Gruppe der Gestalt mit unterschiedliche Primzahlen ist keine -Gruppe: nach dem Satz von Cauchy besitzt diese Gruppe ein Element mit Ordnung .
  • Produkten der Gestalt sind -Gruppen. Die Gruppen und sind -Gruppen, aber das Produkt ist keine -Gruppe (das Element hat Ordnung , die keine Potenz einer Primzahl ist).
  • Die Symmetriegruppe eines Quadrats ist eine nicht-abelsche endliche -Gruppe mit Ordnung (die Elemente und haben Ordnung und die andere nicht-triviale Elemente haben Ordnung ).
  • Die Gruppe , bestehend aus der Elemente in , mit Ordnung eine Potenz von , ist eine unendliche abelsche -Gruppe.
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Primäre Anteile

  • Denken Sie daran, dass jede endliche abelsche Gruppe isomorph zum Produkt ihrer primären Anteile ist.

  • Das heißt, wenn , mit Primfaktorzerlegung , dann gibt es einen Gruppenisomorphismus

    (das heißt, eine Zerlegung ) wobei

    der -primäre Anteil von ist.

  • Insbesondere ist der -primäre Anteil per Definition eine -Gruppe.

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Die Ordnung eines primären Anteils

  • Wir möchten als nächsten die Struktur von der -primären Anteile erklären.

  • Aber zunächst geben wir wieder einen formalen Beweis, dass die Ordung einer solchen Untergruppe eine Potenz der Primzahl ist.

    Satz. Sei eine nicht-triviale endliche abelsche Gruppe und sei ein Primfaktor von . Dann existiert eine natürliche Zahl , sodass .

    Beweis. Sei sodass . Sei eine Primzahl, mit . Nach dem Satz von Cauchy, existiert ein mit . Da ein Element von ist, muss für ein bestimmtes . Da ein Primzahl ist, impliziert dies, dass und . Dann haben wir bewiesen, dass die eindeutige Primzahl, die teilt, ist. Daher gilt für einziges .

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Klassifikationssatz für endliche abelsche p-Gruppen

Satz. Sei eine endliche abelsche -Gruppe mit Ordnung für ein bestimmtes . Dann existiert eine eindeutige Partition , sodass

  • Um diesen Satz besser zu verstanden, betrachten wir zunächst die Produktgruppe

    mit .

  • Dann gilt und, als Konsequenz davon, .

  • Da das Element Ordnung hat, ist außerdem die größte natürliche Zahl sodass ein mit existiert. Beachten Sie, dass auch Ordnung hat.

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Eindeutigkeit der Partition

  • Nehmen wir an, dass ein Gruppenisomorphismus

    existiert, mit . Dann ist

  • Betrachten wir danach die Faktorgruppe

    Dann ist die größte sodass ein existiert, mit .

  • Dies zeigt, dass die Folge von eindeutig bestimmt ist.

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Formales Argument für den Beweis der Eindeutigkeit

  • Wenn die beide Partionen von sind, so dass

    gilt, dann ist .

  • Dann ist die Faktorgruppe eine endliche abelsche -Gruppe und erhalten wir einen Gruppenisomorphismus:

  • Durch Induktion auf der Ordnung der -Gruppe , gilt und , .

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Beispiel: abelsche p-Gruppen mit Ordnung 8

  • Ist eine abelsche Gruppen mit Ordnung , dann ist eine endliche abelsche -Gruppe. Die Möglichkeiten für Partitionen von sind: , und .

  • Es gibt dann, bis auf Gruppenisomorphismus, die folgende drei Möglichkeiten für eine endliche abelsche Gruppe mit Ordnung :

    1. .
    2. .
    3. .
  • In diesem Beispiel sehen wir klar, dass die drei Möglichkeiten schließen sich gegenseitig aus (zum Beispiel gibt es kein Element mit Ordnung oder in dem ersten Produkt).

  • ⚠️ Es gibt auch nicht-abelsche -Gruppen mit Ordnung .

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Beweis des Klassifikationssatzes für endliche abelsche p-Gruppen

Satz. Sei eine endliche abelsche -Gruppe mit Ordnung für einziges . Dann existieren eine Partition und ein Gruppenisomorphismus

  • Wir müssen noch diesen Existenzsatz beweisen. Die Idee ist

    zu setzen. Da endlich ist, ist wohldefiniert.

  • Sei mit und die durch erzeugte Untergruppe von . Dann gilt .

    • Falls , dann gilt und . Der Satz wird daher bewiesen.
    • Falls werden wir betrachten und durch Induktion argumentieren.
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Induktionsschritt

  • Da und , ist die Gruppe eine endliche abelsche -Gruppe mit Ordnung . Per die Induktionsannahme existieren eine Partition und ein Gruppenisomorphismus

  • Wir können jede Gruppe als Untergruppe von ansehen. Da zyklisch ist, gibt es ein Element mit . Inbesondere ist .

  • Von hier aus, möchten wir Folgendes beweisen:

    1. Es gibt , sodass und .
    2. Es gibt ein Gruppenisomorphismus , wobei .
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Lifting-Lemma

Lemma. Sei , wobei wird wie zuvor definiert ( maximal, sodass zyklisch mit Ordnung ist). Dann existiert mit .

Bemerkungen.

  • Da surjektiv ist, existiert mit . Da ein Gruppenhomomorphismus ist, gibt es (in multiplikative Notation)

    somit . Das Lemma besagt, dass wir ein Repräsentant von finden können, sodass genau das Gleiche als ist.

  • Da eine -Gruppe ist, ist eine Potenz von .

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Beweis vom Lifting-Lemma

  • Setzen wir und nehmen wir sodass . Wir werden einfach als schreiben. Dann gilt (in additive Notation)

    das heißt, .

  • Da , können wir für ein bestimmtes schreiben. Außerdem können wir schreiben, für ein bestimmtes und ein bestimmtes mit .

  • 🔥 Dann haben wir . Da und , muss (Übung). Falls , gilt daher . Falls , gilt , somit .

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Ende vom Beweis des Lifting-Lemmas

  • Wir sind noch im Fall wobei und . Außerdem folgt aus der Konstruktion, dass (Übung).
  • Aus der Maximalität von folgt , somit . Dann gilt . Setzen wir dann . Dieses ist ein Element von das erfüllt. Das heißt, .
  • Außerdem gilt . Daher gilt auch .
  • Da und , gilt .
  • Dann haben wir ein Element aufgebaut, sodass und . Dies beendet den Beweis des Lifting-Lemmas.
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Zerlegung als Produkt

  • Dann gehen wir zurüch zum Induktionsschritt. Es gibt ein eine Partition und eine Zerlegung als direkte Summe von Untergruppen

    wobei mit .

  • Nach dem Lifting-Lemma existiert, für jedes , ein Element mit . Außerdem haben wir, per Definition von , .

  • Dann setzen wir und betrachten wir die folgende Abbildung

    die ein Gruppenhomomorphismus ist. Am Nächsten zeigen wir, dass bijektiv ist.

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Injektivität

  • Zeigen wir zunäscht, dass injektiv ist. Das heißt, .

  • Sei , mit . Da mit gilt, existiert für jedes ein mit

  • Durch Abbildung der kanonischen Projektion , gilt und

  • Da , impliziert die Gleichung , dass, für jedes , , das heißt, , somit .

  • Aus folgt dann und, wie zuvor, .

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Surjektivität

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Klassifikationssatz für endliche abelsche Gruppen

Aus der vorherigen Klassifikationssatz für endliche abelsche -Gruppen und die Zerlegung einer endliche abelsche -Gruppe als Produkt/direkte Summe ihrer primären Anteile, folgt der folgende Klassifikationssatz für endliche abelsche Gruppe, den wir bereits vorgestellt haben.

Satz. Sei eine endliche abelsche Gruppe. Sei die Ordnung von und sei die Primfaktorzerlegung von . Dann existieren eindeutige Partitionen , sodass

Beweis. Gilt die Zerlegung . Dann für jedes existiert eine eindutige Partition sodass .

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Bemerkungen zum Klassifikationssatz für endliche abelsche Gruppen

  • In einer Partition , gilt . Es kann sein, dass gilt. Daher schreibt man manchmal mit (statt ) und

    statt .

  • Wie zuvor gesagt, die hier betrachteten Konzepte sind Teil eines breiteren Zusammenhangs, nämlich Modulntheorie über einem Haupidealring (wie zum Beispiel ), wobei jeder endlich erzeugte Torsionsmodul eine primäre Zerlegung hat, und jeder primäre Anteil eine Zerlegung in direkte Summe von zyklischen Untermoduln hat. Wir werden diese Konzepte später im Kurs wieder antreffen.

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Die Elementareteiler einer endlichen abelschen Gruppen

  • Die wichtigste Information im Klassifikationssatz für endliche abelsche Gruppen ist die endliche Folge . Diese Folge bestimmt vollständig die Isomorphieklasse der Gruppe G. im folgenden Sinne:

  • Insbesondere bestimmt diese Folge die Ordnung von ().

    Definition. Die endliche Folge heißt die Folge von Elementarteiler der Gruppe .

    Zum Beispiel, ist die Folge der Elementarteiler der Gruppe die endliche Folge .

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Die aus den Elementarteilern aufgebaut Matrix

Mit den Konventionen und , können wir die folgende Matrix konstruieren, wobei .

Das heißt:

Wenn , dann ist die triviale Gruppe. Daher gilt . Wir können auch für alles mit setzen.

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Invarianten Faktoren

  • Setzen wir, für alles , (das Produkt der Elemente der -ten Spalte). Die werden die invarianten Faktoren von genannt.

  • Dann gelten die folgende Eigenschaften:

    • Da , ist ein Teiler von .

    • In der -ten Spalte, sind Elemente und in verschiedenen Zeilen teilerfremd. Nach dem chinesischen Restsatz, gibt es daher ein Gruppenisomorphismus

    • Die Primfaktorzerlegung von ist genau . Wir können daher die Elementarteiler von den invarianten Faktoren erneut finden.

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Der Satz über invariante Faktoren

  • Als Konsequenz der vorherigen Bemerkungen, gilt der folgende Satz.

    Satz. Sei eine endliche abelsche Gruppe. Dann existiert eine eindeutige endliche Folge mit:

    1. .
    2. .
  • Dies gibt eine andere Zerlegung von als Produkt zyklischer Gruppen. Das heißt, es gibt einen anderen Klassifikationssatz. Natürlich ist .

  • Die Eindutigkeit der invarianten Faktoren folgt aus der Eindeutigkeit der Elementarteiler.

  • Eine abstrakte Version dieses Ergebnisses hat Anwendungen in der linearen Algebra (Frobenius-Normalform).

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Abelsche Gruppen mit Ordnung 600

  • Sei eine abelsche Gruppe mit Ordnung . Dann haben drei Primzahlen , und , mit Exponente , und .
  • Die Möglichkeiten für die Partionen für , , sind:
    • , , und (drei Möglichkeiten).
    • (eine einzige Möglichkeit).
    • und (zwei Möglichkeiten).
  • Das heißt, wir haben Möglichkeiten für die Isomorphieklasse von .
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Erster Fall

  • Falls , und die Partinionen von , und sind, dann sind die Elementarteiler von die natürliche Zahlen und gilt

  • Dann betrachten wir die Matrix

    und die invarianten Faktoren , und . Dann gilt und existiert ein Gruppenisomorphismus

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Zweiter Fall

  • Falls , und , gibt es für die Elementarteiler und

  • Dann ist die Matrix von Elementarteiler

    und sind die invarianten Faktoren , und , sodass und

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Übung 1

  • Berechnen Sie die Elementarteiler und die invarianten Faktoren in den verbleibenden vier Fällen.
  • Es wird Fälle geben, in denen es nur oder wenig invariaten Faktoren gibt. Zum Beispiel, .
  • Im Allgemeinem ist die „Normalform“ einer endlichen abelschen Gruppe mit den invarianten Faktoren praktischer und kürzer zu schreiben als die Normalform mit den Elementarteilern.
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Übung 2

Sei .

  • Zeigen Sie, dass die Gruppen und genau dann isomorph sind, wenn und teilerfremd sind.
  • Zeigen Sie danach, dass ein Produkt zweier zyklischer Gruppen mit teilerfremden Ordnungen wieder zyklisch ist.
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Übung 3

  • Sei eine (nicht unbedingt abelsche) endliche Gruppe. Sei

    Zeigen Sie, dass wohldefiniert ist.

  • Jetzt nehmen wir außerdem abelsch an.

    • Zeigen Sie, dass das kleinstes gemeinsames Vielfaches der Ordnungen der Elemente von ist.
    • Zeigen Sie, dass . Hinweis: Zeigen Sie zunächst, dass und die gleichen Primteiler haben.
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